Wer Diebesgut kauft macht sich zum Hehler. Würde Deutschland stattdessen für mehr Steuergerechtigkeit sorgen, könnte es ein Vielfaches lukrieren ohne rechtsstaatliche Prinzipien zu verletzen.
Im Grunde ist es ganz einfach: Nachfrage erzeugt Angebot. Aus diesem Grund ist nicht nur die Herstellung von Kinderpornographie strafbar sondern auch deren Besitz. Und deshalb wird auch Hehlerei bestraft, „weil die Bereitschaft von Hehlern, sich Diebesgut zu verschaffen, es abzusetzen oder abzusetzen helfen, für andere einen Anreiz schafft, Vermögensstraftaten zu begehen“ (Wikipedia).
Indem Deutschland nun schon zum zweiten Mal von einem Kriminellen eine CD mit gestohlenen Daten über mutmaßliche Steuerhinterzieher erwirbt, schafft es einen Markt für Datendiebstahl und stiftet zur Betriebsspionage an. Die Datendiebe haben keine strafrechtlichen Konsequenzen zu fürchten, denn das all-inclusive Angebot des deutschen Staates beinhaltet nicht nur eine fürstliche Belohnung sondern auch eine neue Identität zum Schutz vor der Justiz ihres Heimatlandes. Deutschland setzt damit grundlegende rechtsstaatliche Prinzipen außer Kraft und verletzt wahrscheinlich eine ganze Reihe von Strafrechtsbestimmungen wie Anstiftung, Hehlerei und Strafvereitelung. [1]
Gesundes Volksempfinden geht vor rechtsstaatliche Bedenken: „Der Kanzlerin sei durchaus klar gewesen, dass der Kauf der Daten widerrechtlich sei, aber – und jetzt kommt’s – angesichts der „aktuellen politischen Gemengelage“ habe sie entschieden, dass in diesem Fall die „reine juristische Lehre“ nicht angewendet werden könne. Das heißt zu Deutsch: Politische Stimmungslagen, der Druck der Straße diktieren in Deutschland, ob der Rechtsstaat eingehalten wird.“ (Roger Köppel, Die Weltwoche)
Wo endet Deutschlands Bereitschaft, Spitzeltum und Diebstahl zu belohnen? 2,5 Millionen Euro für geschätzte 100 Millionen zu bezahlen sind vielleicht ein gutes Geschäft. Aber dann geht sich auch ein Hunni für den Nachbarn aus, der den Hartz-4 Empfänger anzeigt, der ein paar Euro nebenbei verdient. Und warum nicht auch ein paar Tausender für einen Safeknacker, der außer Schmuck und Bargeld noch eine Liste mit Auslandskonten abgegriffen hat? Verdient ein Buchhalter in Zukunft mehr durch Arbeit oder durch Betriebsverrat? In der Vergangenheit haben deutsche Spitzel vor allem als Nazi-Blockwarte und Stasi-IM Karriere gemacht. Schlägt jetzt die Stunde der Steuerspitzel? Und ist es das wirklich wert?
Die Diskussion über eine CD-ROM mit ein paar Steuersündern überdeckt das eigentliche Problem: Deutschland leistet sich ein Steuersystem, das ebenso ungerecht wie undurchschaubar ist. Experten mögen darüber streiten, ob 80 Prozent der gesamten weltweiten Steuerliteratur in deutscher Sprache erscheinen oder vielleicht nur 60 oder 20. Unstrittig ist, dass niemand mehr die absurde Zahl von 200 Gesetzen und annähernd 100.000 Verordnungen überblicken kann, nicht einmal die Finanzbeamten selbst.
Deshalb kostet die Erhebung der Steuern jährlich 15 Milliarden Euro, von denen zwei Drittel die Bürger und Unternehmen direkt bezahlen (den Rest zahlen sie über ihre Steuern natürlich auch selbst). „Das Bundesfinanzministerium selbst schätzt intern, dass die Erhebungskosten der Steuern in Deutschland beim rund Dreifachen des EU-Durchschnitts liegen.“, schrieb die WELT schon 2004. Kaum anzunehmen, dass sich dieses Verhältnis seither verbessert hätte.
Steuerehrlichkeit geht Hand in Hand mit Steuergerechtigkeit. Wenn sich die Bürger vom Staat ausgebeutet fühlen, gilt Steuerhinterziehung nicht einmal mehr als Kavaliersdelikt sondern als Notwehr. Die Empörung der Boulevardpresse über Millionenhinterzieher ist pure Heuchelei. Steuermoral fordert man immer nur von jenen, die reicher sind als man selbst und deshalb höhere Summen hinterziehen können. Selbst nimmt man es nicht so genau: Nie ein privates Abendessen auf die Firma gebucht, die Putzfrau immer angemeldet, beim Hausbau jede Fliese gegen Rechnung verlegen lassen, beim Zahnarzt nie gefragt, ob es die Krone auch „ohne Rechnung“ gibt? Die Frage ist längst beantwortet. Mit rund 350 Milliarden Euro hat die Schattenwirtschaft einen Anteil von knapp 15% an der gesamten Wirtschaftleistung.
Wenn sich kaum jemand seinen Lebensstandard leisten kann ohne am Schwarzmarkt teilzunehmen, wenn Zehntausende nur mehr im Ausland eine Chance auf Wohlstand sehen, wenn immer weniger mit ihrem Job ihren Lebensunterhalt bestreiten können – dann ist der absolute Sozialstaat an seine Grenzen gelangt.
Die Abstimmung darüber, ob ein Staat von denjenigen, die ihn bezahlen sollen, für gerecht erachtet wird, findet nicht nur mit Geld sondern auch mit den Füßen statt. 2009 verließen mehr als 700.000 Deutsche ihre Heimat, weil sie mit ihrer Arbeit anderswo mehr erreichen können. Was will Deutschland dagegen unternehmen? Reichsfluchtsteuer einführen, Mauer bauen?
Anstatt den Rechtsstaat über den Haufen zu werfen und der ältesten Demokratie der Welt damit zu drohen, die Kavallerie ausreiten zu lassen, wäre Deutschland besser beraten, die eigene Steuergesetzgebung radikal zu entrümpeln und für mehr Steuergerechtigkeit zu sorgen. Dazu noch einmal Roger Köppel: „Kapitalflucht und Migration sind immer ein Misstrauensvotum gegen den Staat. Und ein Symptom der Unzufriedenheit. Wenn die Leute das Gefühl haben, dass ihnen die Behörden durch Misswirtschaft und/oder zu hohe Steuern und Abgaben das Eigentum wegnehmen, schaffen sie, solange sie können, einen Notvorrat ins Ausland. Es mag ja sein, dass es unter den Steuerhinterziehern handfeste Ganoven gibt. Vor allem aber ist Kapitalflucht eine Methode, sich gegen einen allzu gefräßigen Staat zur Wehr zu setzen. Und wenn der Staat durch Zwangsmethoden den Kapitalfluss hemmt, wandern früher oder später die Menschen aus. … Mehr Zwang, mehr Kontrolle, mehr Bespitzelung, mehr Datenklau schaffen keine Steuergerechtigkeit. Steuergerechtigkeit lässt sich messen: Sie ist dort am größten, wo die Kapitalflucht am geringsten ist.“
[1] § 26 Anstiftung: Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Die herrschende Lehre versteht darunter jegliches Hervorrufen eines Tatentschlusses. Demnach reicht also die Herbeiführung einer verlockenden Situation aus, eine direkte Kommunikation mit dem Haupttäter oder gar ein Unrechtspakt sind nicht erforderlich.
§ 259 Hehlerei: (1) Wer eine Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst durch eine gegen fremdes Vermögen gerichtete rechtswidrige Tat erlangt hat, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder absetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Hehlerei ist das bedeutendste so genannte Anschlussdelikt an eine zuvor begangene Straftat, die gegen fremdes Vermögen gerichtet ist. Nach herrschender Lehre gelten Daten nicht als Sache, was wohl vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass es zum Zeitpunkt der Formulierung dieses Delikts noch gar keine elektronischen Daten gab. Warum insbesondere vertrauliche personenbezogene Daten nicht unter diesen Begriff fallen sollen, ist nur sehr schwer nachvollziehbar.
§ 258 Strafvereitelung (1) Wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft … wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Dieses Anschlussdelikt entspricht der Begünstigung in Österreich und der Schweiz, nach dem die absichtliche Vereitelung der Bestrafung des Täters einer rechtswidrigen Tat zu bestrafen ist.
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