S t a n d p u n k t e


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Restart

Aufgrund verschiedener Reaktionen auf meinen letzten Beitrag noch ein paar Ergänzungen:

Selbstverständlich sollte Arigona in Österreich bleiben dürfen. Aber nicht unter Missbrauch des Asylrechts.

Es gibt in Österreich grob geschätzt ein paar hundert gut integrierte „Illegale“, die von Abschiebung bedroht sind. Dass die Republik für diese paar Leute nicht eine menschlich großzügige Regelung findet, ist ein Skandal und zeugt von der Orientierungslosigkeit, die ich in meinem Beitrag angeprangert habe.

Aber es kann nicht angehen, dass sich eine Handvoll Medien und NGO ein oder zwei gut vermarktbare Einzelfälle herauspicken, die dann privilegiert behandelt werden sollen. Dieses „Privileg“ ist ohnehin immer ein zweischneidiges Schwert: meist überwiegen die eigenen politischen Interessen jene derer, die man vorgibt zu beschützen. Auch im konkreten Fall glaube ich kaum, dass der Medienhype um Arigona ihrer Sache wirklich hilft.

Dass sich die öffentliche Aufmerksamkeit seit zwei Jahren auf diesen Einzelfall konzentriert, lenkt vom eigentlichen Thema ab: Wir brauchen dringend eine praktikable Einwanderungspolitik, die eine kontrollierte Zuwanderung ermöglicht.

Unsere Programme sind alle entweder abgestürzt oder eingefroren. Höchste Zeit für einen Restart.


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Asyl statt Einwanderungspolitik

Der Asylantrag von Arigona Zogaj, ihren beiden Geschwistern und ihrer Mutter wurde abgelehnt, jetzt droht der Familie die Abschiebung. Das ist tatsächlich ein Skandal: nach allen rechtsstaatlichen Grundsätzen wären die Zogajs entweder gar nicht hier oder schon längst weg.

Die Rollen sind klar verteilt: hier die treuherzige Teenagerin, die davon träumt, in Österreich Steuern zu zahlen, dort die herzlosen Law-and-Order Bürokraten des Innenministeriums, getrieben von eiskalten Politikern, die auf rechtsradikale Wähler schielen. Die Rehleinaugen auf der einen Seite, der böse Blick auf der anderen.

In Wahrheit strotzt die Kampagne für die Familie Zogaj nur so vor Scheinheiligkeit und Halbwahrheiten.

Die Geschichte beginnt im Mai 2001. Arigonas Vater wird von Schleppern illegal nach Österreich gebracht, sein Asylantrag wird ein Jahr darauf abgelehnt. Die Schlepper wurden übrigens aus den Erlösen einer Straftat bezahlt.  Herr Zogaj wird nicht abgeschoben. Im Gegenteil, im September 2002 reisen seine Frau und die fünf Kinder ebenfalls illegal nach Österreich ein und suchen um Asyl an. Im November 2002 werden die Asylanträge der ganzen Familie in zweiter Instanz abgelehnt. Zu diesem Zeitpunkt ist Arigona 10 Jahre alt und gerade einmal drei Monate im Land. Wäre die Familie  damals abgeschoben worden, die menschliche Härte dürfte sich in Grenzen gehalten haben.

Doch von Abschiebung ist keine Rede. Es beginnt ein juristischer Eiertanz der Sonderklasse, ein Asylantrag folgt dem anderen, ausnahmslos jeder wird negativ beschieden. Jede Berufung bleibt erfolglos. Die Strategie des Familienanwalts, für die ganze Familie Asyl zu erwirken, ist riskant und scheitert endgültig im September 2007. Als die Familie abgeschoben werden soll, taucht Arigona bei einem Pfarrer unter und droht mit Selbstmord.

Jetzt nähert sich die schon bis dato beispiellose Medienkampagne ihrem vorläufigen Höhepunkt. Nie zuvor wurde ein Asylwerber mit soviel medialer Zuneigung überschüttet. Die halbwüchsige Hauptschülerin mit unauffälligen Deutschkenntnissen wird zur Paradeimmigrantin gehypet. Ihre Familie wird in den Medien als mustergültig integriert beschrieben. Arigona steigt zur Ikone der Multikulti Szene auf.

In der Folge darf die Mutter bleiben, um nach der Tochter zu sehen. Der Vater und die vier Brüder werden abgeschoben. Österreich hilft ein wenig beim Aufbau einer neuen Existenz im Kosovo (was den Vater nicht daran hindert, sich von seiner Familie abzusetzen). Arigona wird zugesichert, ihre Schule in Österreich abschließen zu dürfen, im Juni 2008 sollen Mutter und Tochter das Land verlassen. Als es soweit ist, folgen ein Selbstmordversuch der Mutter, psychiatrische Gutachten, neue Asylanträge. Beide bleiben im Land. Im Dezember 2008 gelangen auch die Geschwister wieder illegal nach Österreich, der illegale Grenzübertritt wird vom ORF gefilmt. Die jüngeren zwei bleiben bis heute, sodass Arigona, ihre Mutter und zwei Geschwister sieben Jahre nach der Ablehnung ihres ersten Asylantrags noch immer im Land sind.

Das ist nur eine sehr grobe Zusammenfassung der Ereignisse. Der ORF hat eine detaillierte Chronik der Ereignisse erstellt. Der Blick in die Vergangenheit ist nötig, um zu verstehen, welche Mythen sich rund um den Fall Arigona gebildet haben.

Nach allem was wir heute wissen, erfolgte die Ablehnung der Asylanträge ziemlich sicher von Anfang an zu Recht. Das Asylrecht zielt auf Menschen ab, die vor akuter politischer Verfolgung bedroht sind oder aus einem Kriegsgebiet fliehen und deshalb im Ausland Schutz suchen. Nichts davon trifft auf die Familie Zogaj zu. Außerdem war die Integration der Familie in Österreich bei weitem nicht so mustergültig wie in den Medien beschrieben, einzelne Familienmitglieder sind sogar straffällig geworden.

Entgegen landläufiger Meinung wurde das Asylverfahren relativ zügig durchgeführt. Bis zum ersten negativen Bescheid für Arigona dauerte es gerade einmal drei Monate. Dass sich das Verfahren inzwischen über acht Jahre hinzieht, liegt daran, dass die Familie jedes nur erdenkliche Mittel ergriff – juristisch und medial, bis hin zu Selbstmorddrohungen – um die Durchsetzung von rechtskräftigen Bescheiden zu verhindern und so der Abschiebung zu entgehen. Kein Staat der Welt lässt sich ad infinitum erpressen.

Die Inhumanität, die gut integrierte Arigona auszuweisen, resultiert aus der vorgeblichen Humanität, die noch nicht integrierte Arigona nicht schon längst ausgewiesen zu haben.

Dass sich die Jugendliche inzwischen in Österreich gut eingelebt hat, ist selbstverständlich. Die Integration eines Asylwerbers ist aber aus gutem Grund kein Asylkriterium. Asyl ist das Recht eines jeden politisch Verfolgten oder Kriegsflüchtigen auf Schutz. Es ist keine Belohnung für einen Deutschkurs und kein Preis für Sympathie.

Die Wahrheit ist: Arigona Zogaj ist kein Asylfall, sie ist nie einer gewesen. Asyl für Arigona wäre eine Verhöhnung tausender abgeschobener Asylwerber, die genauso viel oder genauso wenig Recht darauf gehabt hätten, ihr Glück in Österreich zu versuchen, aber den Rechtsstaat dabei nicht bis über die Grenze der Absurdität hinaus ausgereizt haben.

An dieser Stelle könnte man die Geschichte über Arigona enden lassen, manifestierte sich an ihr nicht die ganze Verlogenheit der österreichischen Einwanderungspolitik – sofern man von einer solchen überhaupt sprechen kann. Österreich ist ebenso wie Deutschland seit Jahrzehnten ein Einwanderungsland. 2006 waren laut Statistik Austria 14,6% der Bevölkerung ausländischer Herkunft (einschließlich der eingebürgerten Zuwanderer). Das sind immerhin 2% mehr als in den USA.

Im Gegensatz zu sämtlichen klassischen Einwanderungsländern verlief diese Zuwanderung völlig planlos und ungesteuert. Die Wurzeln unseres Verständnisses von Zuwanderung liegen im latent rassistischen Gastarbeiterkonzept der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Ausländische Arbeitskräfte werden nur für unqualifizierte Tätigkeiten ins Land geholt, für die sich keine Einheimischen finden. Das entspringt der Vorstellungswelt einer Sklavenhaltergesellschaft. Immigranten sind keine Gäste. Sie gehen nicht nach dem Nachtisch.

Klassische Einwanderungsländer bieten ihren Zuwanderern Arbeit und Anerkennung. Im Gegenzug fordern sie Qualifikation, Leistung und Integration. Österreich leugnet seine Realität als Einwanderungsland beharrlich. Wir bieten Sozialhilfe statt Respekt, schämen uns dann aber doch ein wenig und trauen uns dafür auch nichts zu fordern. Anstatt transparente Kriterien zu definieren, WEN wir in unser Land aufnehmen wollen, quälen wir uns mit der Frage, WIEVIELE. Das Ergebnis ist fatal: Einwanderungspolitik verkommt zum Abwehrkampf.

Mit an vorderster Front in diesem Abwehrkampf – der noch dazu ohnehin nicht zu gewinnen ist – steht ausgerechnet jene Partei, die sich einst die internationale Solidarität auf ihre Fahnen geheftet hatte. Die SPÖ hat Einwanderer seit jeher zu allererst als Bedrohung ihrer Klientel wahrgenommen. Sie ist in ihrer fremdenfeindlichen Politik der FPÖ nichts schuldig geblieben, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz. Man erinnere sich an die große Koalition Ende des vorigen Jahrhunderts: noch mehr große und kleine Gemeinheiten wie dem SPÖ-Innenminister Schlögl hätten auch Jörg Haider nicht einfallen können. Inzwischen sind die Türen so fest zu, dass Zuwanderer von außerhalb der EU kaum mehr eine Chance haben legal einzuwandern, unabhängig von ihrer Leistungs- und Integrationsbereitschaft.

Unser rein quantitatives Verständnis von Zuwanderung steht der Integration jener im Weg, die es irgendwie ins Land geschafft haben. Integration erfolgt über Anerkennung und die Möglichkeit zu sozialem Aufstieg. Eine entsprechend verfasste Gesellschaft begünstigt integrationsfähige Einwanderer, die ihren Nachkommen „ein besseres Leben“ ermöglichen wollen. Aus diesem Grund schlägt die Arbeitsethik der USA den europäischen Sozialstaat in ihrer Integrationskraft um Längen: „In the U.S. model an immigrant gets dignity by contributing to the whole and by the dignity of his work.“

Demgegenüber sind wir für anatolische Analphabeten wesentlich attraktiver als für indische Mathematiker oder polnische Facharbeiter. Die gehen nach England, Kanada, Australien oder in die Vereinigten Staaten, wo leistungswillige Zuwanderer bessere Aufstiegschancen vorfinden und weniger Diskriminierungen ausgesetzt sind. Für uns bleibt was kommt, und was kommt bleibt dann auch. So schafft die fehlende Einwanderungspolitik von heute das Lumpenproletariat von morgen.

Am linken Ende des politischen Spektrums dominieren Realitätsverweigerung und Wunschdenken. Das politisch korrekte Verschweigen der mit der unkontrollierten Zuwanderung durch die Hintertür verbundenen Probleme stärkt die rechtsradikalen Parteien. Die Mischung aus Fremdenhass und politischer Korrektheit ergibt eine unappetitliche Melange öffentlicher Orientierungslosigkeit. Entweder es wird beschwichtigt, wo man aufschreien müsste, oder gehetzt, wo man helfen müsste.

Um sich realen Problemen offen zu stellen und die Basis für eine Einwanderungsgesellschaft zu entwickeln, die für die einheimische Bevölkerung gleichermaßen attraktiv ist wie für integrations- und aufstiegswillige Einwanderer, bräuchte es Mut, Aufrichtigkeit und intellektuelle Redlichkeit. Nichts davon ist in der aktuellen politischen Diskussion erkennbar.

Und hier schließt sich der Kreis zum Fall Arigona. Asyl kann niemals Ersatz für Einwanderungspolitik sein. Einwanderung über das Asylrecht steuern zu wollen ist genauso verlogen wie gefährlich.

Verlogen, weil man sich damit vor einer breiten Diskussion über Fremdenpolitik jenseits von Parteihickhack und Populismus drückt. Eine aufrichtige Debatte hätte sich darum gedreht, unter welchen Voraussetzungen man ALLE gut integrierten illegalen Einwanderer amnestieren und einbürgern kann (ähnlich wie Bush es für die USA vorgeschlagen hatte).

Gefährlich, weil Asyl die letzte Zuflucht vor Verfolgung und Vernichtung ist. Entsteht in der Bevölkerung der Eindruck, dass das Asylrecht dazu missbraucht wird, Einwanderer durch die Hintertür ins Land zu holen, wird jede Regierung mit einer Verschärfung der Asylbestimmungen gegensteuern. Die Folgen können für tatsächlich Schutzbedürftige tödlich sein. Asyl ist ein kostbares Recht. Gearde darum ist es mit äußerster Sorgsamkeit anzuwenden.

Im Übrigen ist ein europaweit einheitliches Asyl- und Fremdenrecht längst überfällig. Dass ein solches nicht einmal in Schengenland existiert ist, eine Schande, die angesichts dessen, dass man Zeit findet, sich mit Glühbirnen zu beschäftigen, noch viel monströser wirkt.

All das macht Arigona nicht zum Asylfall. Sie hätte das Land längst verlassen müssen und einen Einwanderungsantrag stellen sollen. Wenn dem nicht stattgegeben würde – das wäre das eine Unmenschlichkeit, gegen die es sich zu protestieren lohnte!

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