Die deutsche Täterverliebtheit, in der man für alles und jeden Verständnis zeigt, resultiert in einer notorischen Täter/Opfer Umkehr, die gerade beim Thema Israel besonders degoutant ist. Wo Palästinenser zu ewigen Opfern israelischen Unrechts hochstilisiert werden, sind antisemitische Ressentiments nicht weit.
Eine (unerwünschte?) Nebenwirkung der ausgeprägten Holocaust-Erinnerungskultur ist die fortschreitende Exkulpierung der deutschen Täter, deren tatsächliche Verbrechen durch die vorgeblichen ihrer entkommenen Opfer relativiert werden.
Kaum ein deutschsprachiges Medium wartet mit einer ausgewogenen Nahost-Berichterstattung auf und die Suche nach dezidiert Israelfreundlichen Intellektuellen im linksliberalen Milieu gleicht jener nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen. Das deutsche Feuilleton ist in die Palästinenser verliebt wie Kara Ben Nemsi Effendi in Hadschi Halef Omar, darum klingen die SPIEGEL-Berichte von Ulrike Putz aus dem Gazastreifen auch wie Karl Mays Erzählungen vom wilden Kurdistan.
Der Schreibtischtäter von heute hofiert Hamas und Hisbollah samt deren Sponsor Ahmadinejad und verklärt abgrundtiefen Hass und Vernichtungswillen zu verzweifelter Not und Ausweglosigkeit. Die Unverblümtheit, mit der die deklarierten Judenhasser, die ohne jeden Zweifel das Projekt eines eliminatorischen Antisemitismus betreiben, die Vernichtung Israels auf ihre Agenda setzen, ficht ihn nicht an. Denn der Täterverliebte glaubt dem präsumtiven Täter die geplante Tat selbst dann nicht, wenn dieser sie öffentlich ankündigt. Später wird er seinen Kindern einmal erzählen, er habe von nichts gewusst.
Liebe macht blind, heißt es, und manchmal macht sie eben auch dumm.
Dabei ist der verhängnisvoll Verliebte nicht unbedingt ein schlechter Mensch. Er trennt brav seinen Müll und kauft Gemüse aus biologischem Anbau. Sein Wunsch nach Frieden ist aufrichtig, nur dass er „Nie wieder Krieg von deutschem Boden“ als „Nie wieder Krieg“ verinnerlicht hat. Nach dieser verkürzten Logik ist nicht der unterdrückerische Aggressor das eigentliche Übel sondern der Krieg an sich. Das ist die endgültige Befreiung vom Stigma des Tätervolks: so zu tun als gäbe es gar keine Täter. Waren im Zweiten Weltkrieg nicht alle Opfer, irgendwie?
Wo keine Täter sind ist keine Schuld. Die Deutschen können den Juden Auschwitz nicht verzeihen, weil die natürliche Empathie mit den Opfern irgendwann an ihrem schlechten Gewissen erstickt ist. Seither sind Täter Opfer von Tätern, die Opfer von Tätern sind. Wo überall Opfer sind ist überall Schuld.
Doch Frieden ist keine moralische Kategorie sondern nur ein Zustand, der durch die Abwesenheit von Krieg gekennzeichnet ist. Der Begriff sagt nichts über die Lebensumstände der in Frieden Lebenden aus, nichts darüber, ob ein Volk in Freiheit und Prosperität lebt oder von seinen Herrschern geknechtet wird. Frieden herrscht in Norwegen ebenso wie in Nordkorea. Umso erstaunlicher ist es, dass wer in unseren Landen „für den Frieden“ eintritt, sich automatisch auf der moralisch überlegenen Seite wähnen darf. Wenn aber Frieden als oberster moralischer Imperativ herhalten muss, wird jede militärische Operation zum Verbrechen, unabhängig von Motiv und Ergebnis. In diesem Eintopf wird der Überfall auf Polen genauso gar gekocht wie die Landung in der Normandie. Nur wo nicht zwischen Aggression und Gegenwehr unterschieden wird, mag die Operation Cast Lead der IDF in Gaza schwerer wiegen als der Raketenterror der Hamas.
Der gemeine Nachkriegspazifist deutscher Prägung hat keinen moralischen Kompass. Er kennt nur den Unterschied zwischen Krieg und Frieden, nicht den zwischen Gut und Böse. Kein Wunder, dass er nicht zwischen Angreifern und Verteidigern unterscheiden kann und Terroristen mit Widerstandskämpfern verwechselt. Er liest von Steine werfenden Jugendlichen und selbst gebastelten Raketen auf der einen Seite und sieht die Bilder von Panzern und Soldaten in voller Kriegsmontur auf der anderen. Genug Information um sich wohlfeil zu entrüsten.
Für ihn wiegt der Frieden schwerer, als die gewalttätigen Exzesse der klerikalfaschistischen Taliban gegen die eigene Bevölkerung zu stoppen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung auch gegenüber einem verhetzten islamischen Mob einzufordern hält er für eine rechtsradikale Provokation. Seine Priorität liegt in der Gewaltvermeidung um jeden Preis, selbst um den der bedingungslosen Unterwerfung. Aufgrund seiner moralischen Indifferenz erschöpft er sich im Engagement für alles, was er für natürlich hält. Denn die Natur ist gut, nur der Mensch ist schlecht. Es braucht keinen Mut, um gegen Gentechnik, Atomkraftwerke und Pelzmäntel zu sein oder für Naturheilkunde, Klimaschutz und Bioeier. Angst reicht dafür völlig. „Nur net anstreifen“, nennt man das in Österreich: der Herr Karl braucht nicht zu kapitulieren, weil er nie für etwas gekämpft hat. Der Mitläufer als historische Konstante.
Dabei braucht er nicht einmal eigene Vorurteile zu entwickeln, die alten antiamerikanischen und antisemitischen Ressentiments tun’s auch: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es um es zu besitzen.“ Schmerzhaft treffsicher konstatiert Henryk M. Broder, dass es „für den deutschen Studienrat mit Hegel, Hesse und Hitler im Handgepäck eine Kränkung war, von einem Kaugummi kauenden Neger aus Alabama vom Nationalsozialismus befreit zu werden“.
Wenn Marx Recht hat, dass sich die Geschichte erst als Tragödie und dann als Farce wiederholt, wird der entschlossenste Antisemit seit Hitler ausgerechnet mit tatkräftiger Hilfe der deutschen Eliten aus Wirtschaft und Politik unter dem verständnisvollen Nicken des deutschen Feuilletons in den Besitz der Atombombe gelangen. Sollte er zu Ende bringen, worin unsere Vorfahren auf halbem Weg gescheitert sind, werden wir wieder jede Menge Gedenkstätten bauen. Dann wird unsere Zuneigung zu toten Juden nicht mehr von den lebenden gestört werden. Dann herrscht wieder Frieden im Land.